Als „sehr Besorgnis erregend“ hat Sigrun Albert, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), heute in Berlin die wachsende Gewalt gegen Medienschaffende in Deutschland bezeichnet. „Leider bestätigt die neue Feindbildstudie unsere Vermutung, dass zunehmend auch lokale Journalistinnen und Journalisten von gewalttätigen Angriffen aufgrund ihrer Arbeit betroffen sind“, erklärte Albert.
Mindestens ebenso verstörend seien hasserfüllte Übergriffe und massive Drohungen im Digitalen, führte Albert weiter aus. Das European Center For Press and Media Freedom (ECPMF, Leipzig) habe in seiner mittlerweile sechsten „Feindbild-Studie“, an der sich der BDZV erstmals beteiligte, die weiter eskalierende Bedrohungslage deutlich gemacht. Vor diesem Hintergrund plane der Dachverband, ein Langzeitmonitoring zu installieren, um den „Hass vor der Haustür“ zu dokumentieren und auf dieser Faktenbasis auch Gegenmaßnahmen zu entwickeln. „Ich freue mich, dass wir mit dem ECPMF einen so versierten Partner für die gemeinsame Plattform gefunden haben“, sagte die BDZV-Managerin.
Tägliche Angriffe nehmen weiter zu
Dies sind die zentralen Ergebnisse der heute veröffentlichten sechsten Feindbild-Studie:
- Erneuter Negativrekord: Mit 83 tätlichen Angriffen gegen Medienschaffende übersteigt das Jahr 2021 nochmals den Höchststand von 2020 (69 Angriffe).
- Tatort Demonstrationen: 75 Prozent aller Fälle ereigneten sich bei Protestveranstaltungen gegen die Corona-Maßnahmen.
- Der Hass zieht westwärts: Zwar bleibt Sachsen mit 23 Fällen Negativ-Spitzenreiter, die Angriffe in Westdeutschland nehmen jedoch deutlich zu.
- Diffuse politische Zuordnung: 39 Prozent der Tätlichkeiten erfolgten 2021 aus dem rechten Spektrum, ein Prozent aus dem linken, 60 Prozent waren nicht eindeutig zuzuordnen.
- Besorgniserregende Entwicklung: Journalistinnen und Journalisten ziehen sich immer häufiger von der Protestberichterstattung zurück.
- Winter der Gewalt: 19 Fälle im Dezember 2021, 18 Fälle im Januar 2022 – noch nie wurden so viele Fälle in zwei Monaten erfasst.
Mehr Schutz für Medienschaffende
„Die Feinbild-Studie hat gezeigt, dass die Pressefeindlichkeit in Deutschland weiter eskaliert – und dass insbesondere Lokaljournalistinnen und -journalisten unter Druck sind“, führt Dr. Lutz Kinkel, Geschäftsführer des ECPMF, aus. „Sie können nicht ausweichen, sie können nicht abtauchen, sie müssen mit den Menschen leben, von denen sie bepöbelt und bedroht werden. Was wir brauchen, ist: mehr Schutz für Medienschaffende, eine konsequentere Ahndung von Straftaten und mehr Medienkompetenzkunde.” Die Kooperation mit dem BDZV ermögliche es, „die Probleme im lokalen Raum künftig intensiver ausloten und analysieren zu können. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit.”
Roberta Knoll, Co-Autorin der Feindbild-Studie, ergänzt, dass sich „drei Viertel der Angriffe auf pandemiebezogenen Protesten ereigneten. Diese Versammlungen sind damit weiterhin der gefährlichste Arbeitskontext für Journalistinnen und Journalisten. Die Demos von Querdenken & Co haben die pressefeindlichen Angriffe deutlich zunehmend nach Westdeutschland getragen, längst ist nicht mehr nur Negativ-Spitzenreiter Sachsen betroffen.”
Und Martin Hoffmann, ebenfalls Co-Autor der Feindbild-Studie, weist darauf hin, dass „wir seit Beginn unserer Erfassung im Jahr 2015 nie so viele gewaltsame Angriffe gegen Medienschaffende verifiziert haben wie im Jahr 2021. Schwere Bedrohungen und tätliche Angriffe gehören für immer mehr Journalistinnen und Journalisten zum Arbeitsalltag. Das bleibt nicht ohne Folgen: Immer mehr ziehen sich deshalb von der Berichterstattung von Demonstrationen zurück.“