Ein Jahr Krieg gegen die Ukraine: Sie setzen der Vernichtung ihr Wort entgegen – unterstützt ukrainische Journalist*innen!

ECPMF

25 February 2023

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Russlands Regime will die Ukraine nicht nur erobern, sondern kulturell vernichten. Deswegen stehen auch Journalist*innen auf russischen Todeslisten. Trotzdem arbeiten sie weiter. Wir müssen ihren Stimmen Gehör verschaffen, viel mehr als bislang.

Ein Essay von Rebecca Harms

Vor einigen Tagen wurde ein Artikel meines Freundes Jurko Prochasko veröffentlicht, der als Psychoanalytiker und Schriftsteller in Lemberg lebt. Sein jüngster Text hat mich ins Herz getroffen. Er schreibt noch einmal zugespitzt darüber, was der Vernichtungskrieg bedeutet. Er schreibt darüber, wie Russland nicht nur die ukrainische Bevölkerung terrorisiert, sondern versucht, überall dort, wo ukrainisches Land russisch besetzt wird, die ukrainische Kultur im wahrsten Sinne des Wortes auszulöschen.

Die Invasion richtet sich gegen die ukrainischen Menschen und gegen alles Ukrainische. Was von Ukrainer*inn erdacht, in Stein gehauen, geschrieben, gedruckt, gemalt, fotografiert, gesammelt, komponiert oder gefilmt wurde, wird zerstört. Ukrainische Bücher werden aus den Bibliotheken und Schulen geholt und verbrannt, Museen werden geplündert und zerstört, Zeitungsredaktionen zerschlagen, Theater, Schulen und Universitäten bombardiert. Eines der ersten Gebäude, das im Krieg angegriffen wurde, war der Fernsehturm in Kyjiw. Zerstört wurden bei diesem Angriff auch Teile der Gedenkstätte von Babyn Yar. Ganze Städte werden dem Erdboden gleichgemacht, es scheint, als wären sie niemals dagewesen.

 

Das Land verteidigen – und seine Kultur

Schon zu Beginn des Krieges erfuhr ich von einem befreundeten Journalisten, dass in Moskau Listen mit tausenden Namen von Ukrainer*innen angefertigt wurden. Auf diesen Listen stehen bekannte Künstler*innen, Politiker*innen, Aktivist*innen und auch Journalist*innen. Die allermeisten jener Menschen, die im Namen und Auftrag Putins und seines Regimes verfolgt werden, um sie wegsperren oder töten zu lassen, sind vor den Drohungen, nicht davongelaufen. Sie haben sich wie ihr Präsident gegen die Mitfahrgelegenheit und für den Widerstand, für die Freiheit entschieden. Viele Künstler*innen aber auch viele Journalist*innen haben sich zur Armee gemeldet, um ihr Land zu verteidigen. Viele, besonders diejenigen, die aus dem Osten oder Süden stammen, haben ihre Frauen und Kinder ins Ausland geschickt. Wenn sie nicht in der Armee kämpfen, dann arbeiten sie weiter. Die Verteidigung der Ukraine findet an der Front und an vielen anderen Orten statt.

Gerade auch Schriftsteller*innen und Journalist*innen verteidigen ihr Land und seine Kultur, indem sie schreiben. Sie schreiben von der Front, von Vertreibung und Rückkehr, von Zerstörung und Wiederaufbau, erzählen von den großen und den kleinen Leuten, vom Leben ohne Strom und Wärme, von der Hilfe zur Selbsthilfe und davon, wie die Menschen im Krieg verzweifeln aber sich gegenseitig über Wasser halten, wie sie in Bunkern und Kellern mit ihren Liedern gegen den Krieg ansingen. Sie schreiben sogar noch aus den besetzten Gebieten. Der Mut und die Kraft, die viele Journalist*innen antreibt, die ich kenne, speist sich aus der Entscheidung, sich dem alten Imperium, dem Terror „Großrusslands“, nicht wieder preiszugeben.

Viele arbeiten mit an der Dokumentation von Kriegsverbrechen. Oft sind Journalist*innen unter den ersten, die an einem befreiten Ort oder dem Schauplatz eines Kriegsverbrechens ankommen. Viele haben inzwischen gelernt, wie Zeugenaussagen gerichtsfest zu protokollieren sind. Sie arbeiten mit internationalen Teams von Jurist*innen zusammen. Ein Ziel auch der ukrainischen Journalisten ist es, dass die russische Führung und ihre Komplizen sich für diesen verbrecherischen Krieg und die zahllosen Verbrechen vor einem Internationalen Sondertribunal verantworten müssen.

 

Unterstützung von Pressefreiheitsorganisationen

Damit die Arbeit der ukrainischen Kolleg*innen möglich bleibt, unterstützen viele Organisationen, die sich der Pressefreiheit und dem Schutz von Journalist*innen verschrieben haben, ihre Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine. Die Hilfsleistungen sind inzwischen umfassender als in der ersten Zeit des Kriegs. Immer wieder wird jede Art von Arbeitsgerät und auch Schutzausrüstung geliefert. Seit Russland systematisch versucht, die Energieversorgung des Landes zu zerstören, gehören auch Generatoren und Batterien dazu. Zusammen mit ukrainischen Journalist*innen werden örtliche und ausländische Journalist*innen für die Arbeit unter Kriegsbedingungen ausgebildet. Dafür sind Zentren in mehreren Städten der Ukraine geschaffen worden.

Beim ECPMF haben wir früh erkannt, dass der Zusammenbruch des Medienmarktes auch direkte finanzielle Hilfe für Kolleginnen und Kollegen erforderlich macht. Das Stipendienprogramm mit monatlichen Zahlungen werden wir dank der Förderung des Auswärtigen Amtes in diesem Jahr bis zum Sommer fortsetzen können. Wir und andere Organisationen können mit Residenzprogrammen den ukrainischen Kolleg*innen anbieten, sich von den Schrecken der Arbeit zu distanzieren und sich etwas zu erholen. Die notwendigen Hilfen gegen die psychischen Leiden, gegen das Trauma dieses Krieges, wird uns als Aufgabe in die Zukunft begleiten.

Alle diese Hilfen erscheinen angesichts der Brutalität des Krieges vielleicht gering. Aber zur Verteidigung der Freiheit der Ukraine wird gehören, dass wir der vitalen Landschaft von Medien und den vielen professionellen und engagierten Kolleg*innen helfen, die Zukunft zu gewinnen. Dazu sollten wir ihnen an allen Orten, in Veranstaltungen und Konferenzen, in unseren Organisationen aber auch in den Medien außerhalb der Ukraine so viel Raum, so viele Zeilen, so viele Sendeminuten wie möglich geben. Wir bräuchten schon längst eine Agentur, die die hervorragende Arbeit der ukrainischen Journalist*innen auf den Markt bringt.

 

Die Augen und Ohren der Welt

In einem Stück für die taz schrieb Kateryna Zergatskova, Chefredakteurin von Zaborona Media, vor mehreren Monaten, dass die ukrainischen Journalist*innen in diesem Krieg die Augen und Ohren der Welt seien. Sie wandte sich gegen die Reduzierung ihrer ukrainischen Kolleg*innen auf die Rolle als Fixer für die einreisenden Kriegsberichterstatter aus aller Welt. Sie machte aber auch deutlich, dass wir diese ukrainischen „Augen und Ohren“ brauchen, dass wir ohne sie außerhalb der Ukraine aufgeschmissen wären.

Seit Russland die Ukraine vor einem Jahr überfallen hat, sind sehr viele Zivilist*innen getötet worden. Darunter sind auch 48 Journalist*innen. Im Angesicht der Gefahr, in der sie sind, arbeiten unsere Kolleg*innen weiter. Sie tun das nicht trotz, sondern wegen des Horrors von Mariupol, Butscha oder Izium, arbeiten rund um die Uhr, jenseits des Limits. Sie nehmen das erklärte Ziel des russischen Krieges ernst, die Ukraine im wahrsten Sinne des Wortes zu vernichten. Sie setzen ihr Wort dagegen. Diesen Worten Gehör jenseits der ukrainischen Grenzen zu verschaffen, ihnen nicht nur regelmäßig das Feuilleton zu überlassen, sondern sie in den Newsrooms der Welt ernst zu nehmen, ist das Gebot der Stunde. Die Verbreitung dessen, was ukrainischen Augen und Ohren sehen, die Verbreitung der Worte unserer Kolleg*innen, ist ein Akt gegen die Auslöschung.

Rebecca Harms - Foto Dickfeitzen

Rebecca Harms ist Vorstand des ECPMF. Von 2004 bis 2019 war sie Mitglied des Europäischen Parlaments und davon sieben Jahre Vorsitzende der Grünen Fraktion. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland warnte sie erstmals vor einem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine.

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